Über die Bedeutung von Fremdheit für Organisationen und Beratende als Mehrwertproduzentinnen und -produzenten
In einem exklusiven Interview mit dem Journal Supervision äußert sich der renommierte Soziologe Armin Nassehi über Fremdheit als fundamentale soziale Erfahrung; und über das tägliche Fremdheitsmanagement in den Organisationen. Ein Unternehmen besteht, so eine von Nassehis Thesen, vor allem aus Fremdheiten und Diversitäten.
Er lenkt die Aufmerksamkeit dann auf eine für ihn zentrale Paradoxie: In die Organisationen sind einerseits Asymmetrien eingebaut: in Form von Hierarchien, Positionen, Zuständigkeiten – ohne die man Unternehmen und Betriebe überhaupt nicht denken kann. Andererseits leben wir heute in einer Gesellschaft, die radikale Symmetrieerwartungen hat. Gemäß des Versprechens der aufgeklärten Moderne gilt: Wir machen keinen Unterschied zwischen den Menschen. Diese radikalen Symmetrieerwartungen drängen jetzt verstärkt in die Organisationen und äußern sich über Ideen und Diskussionen wie Frauenquote, Equal Pay usw.
Daraus ergibt sich eine spannende Zukunftsfrage: Wir gehen die traditionell asymmetrisch organsierten Organisationen mit den fremden, radikalen Symmetrieerwartungen der Gesellschaft um? Für Nassehi ist klar: Organisationen müssen lernen, die Frage der Symmetrie und Asymmetrie neu zu ordnen – ohne Asymmetrie einfach durch Symmetrie zu ersetzen.
Nassehi definiert auch die Rolle von Beratenden im Kontext der Fremdheit überraschend anders. Eine gute Beraterin oder ein guter Berater muss, so Nassehi, Sätze sagen, die fremd und überraschend sind; die einen dazu bringen, Gedanken zu denken und Sätze zu sagen, auf die man selbst nicht gekommen wäre. Die gute Beraterin darf nicht Teil der Organisationsstruktur werden, die sie berät. Sie oder er sind privilegierte Fremde, die über diese Fremdheitsposition einen Mehrwert produzieren: indem sie gleichzeitig professionell verunsichern und Anlassgeber für neue Selbstbeschreibungen sind.
Laut Nassehi sind Beraterinnen und Berater also: die guten Fremden.
Dieser Text ist die Essenz eines Interviews, das Theresia Volk und Heiko Schulz mit Armin Nassehi führten – im Rahmen des Journal Supervision 2/2017 zum Thema „Fremdheit und die Sehnsucht nach Identität“.
Abstract (PDF)
Komplettes Interview
Heiko Schulz, Theresia Volk
Der gute Fremde (PDF – JS 2/2017)
– Interview mit Armin Nassehi
Prof. Dr. Armin Nassehi ist u.a. Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Herausgeber des „Kursbuch“, das sich als „Forum für Perspektivendifferenz“ versteht.