Ein Interview mit Paul Fortmeier, Geschäftsführer der DGSv, zur aktuellen Situation sowie zu Möglichkeiten und Formaten von Supervision und Coaching während der Corona-Krise.
Herr Fortmeier, Sie sind selbst Supervisor und Coach und Geschäftsführer des größten deutschen Berufsverbands Ihrer Branche. Können Supervision und Coaching in der Corona-Krise helfen?
Die Corona-Krise stellt alles auf den Kopf,
mit neuen Anforderungen, Belastungen und Unsicherheiten für beinahe jede*n. Natürlich
gibt es da an vielen Stellen, teils sogar erhöhten, Bedarf an Beratung, um über Wege und Lösungen in der Krise nachzudenken. Im
Krisenmodus ist allerdings für die meisten erst einmal Handeln angesagt. Fast
alle müssen sich neu organisieren in ihrem Arbeitsalltag, sind völlig
ausgebremst und schauen in eine ungewisse Zukunft – das gilt auch für die
Supervisor*innen und Coaches selbst. Viele Supervisionsprozesse können momentan
nicht stattfinden, weil die Zeit fehlt, aber auch, weil bestimmte Settings mit
den aktuellen Einschränkungen nicht vereinbar sind. Alle miteinander, Berater*innen
und ihre Klient*innen, befinden sich in einer völlig neuen und ungewissen
Situation.
Was können Supervision und Coaching leisten in einer solchen Situation?
Wir können dabei helfen, über Nachdenken
wieder eine Struktur zu finden, auch wenn diese nur vorübergehend ist. Wir
bieten Reflexion, das ist der Kern unseres
Geschäftsmodells. Wir verbessern nicht selbst etwas, sondern bieten den
Menschen, die in ihren Zusammenhängen etwas verbessern und verändern können,
wollen und müssen, Denkräume an, damit sie sich auf ihre Kräfte konzentrieren
und sie entsprechend einsetzen können: Wie führe ich meinen Betrieb, wie
führe ich meine Mitarbeitenden unter den neuen Bedingungen mit Home-Office und Remote-Arbeit,
wie kriegen wir das hin, wie bekommen Klient*innen und Kund*innen die
notwendigen Leistungen, wie kann ich Orientierung geben? Die Anforderung an die
Führungskräfte ist, nichts zu beschönigen, aber so gut es geht Sicherheit zu
geben. Das ist ein wichtiges Thema.
Wie profitieren Menschen und Organisationen davon konkret?
Reflexion ermöglicht, überlegter vorzugehen und die ersten, im
Krisenmodus verständlicherweise auch panischen Reaktionen hinter sich zu lassen.
Wenn man es ermöglichen kann nachzudenken und Dinge zu besprechen, wird es sofort
ruhiger, als wenn man permanent agieren muss. Reden und sich austauschen sind
im Krisenfall wichtige Faktoren. Wenn Führungskräfte steuern und Orientierung
geben sollen, sind sie ja nicht außerhalb der Welt. Auch sie selbst haben
Ängste und Sorgen. Dafür können unsere Berater*innen gute Gesprächspartner
sein.
Wer sucht jetzt trotz oder wegen der Krise verstärkt Beratung?
Das ist unterschiedlich. Diejenigen, die bislang von Beratung
profitiert haben, greifen auch jetzt stärker darauf zurück, weil sie wissen,
was sie davon haben können. Diejenigen, die das bislang nicht in Erwägung
gezogen haben, kommen mitten im Krisenmodus auch nicht auf die Idee. Das kommt
erst noch. Welche Fähigkeiten dann genau gefragt sind, das wird sich zeigen.
Grundsätzlich ist es empfehlenswert für alle, die, auch im permanenten
Handlungsdruck, konkret über etwas nachdenken wollen, die eine Situation strukturieren,
Schwerpunkte setzen und Prioritäten überprüfen wollen – was habe ich gemacht,
bin ich auf dem richtigen Weg? Tue ich die richtigen Dinge zur richtigen Zeit? Bei
einem bestehenden Beratungsverhältnis kann das auch mal eine punktuelle Sitzung
zur Unterstützung im Krisenmanagement sein. In der Regel sind Supervision und
Coaching aber prozesshaft angelegt, um Erfahrungen aus bestehenden Abläufen zu sammeln,
gemeinsam zu reflektieren und die nächsten Schritte auf der Grundlage dieser
Reflexion – vielleicht überlegter und fundierter – zu tun.
Über welche Kanäle und in welchen Formaten finden Beratungen jetzt vor allem statt?
In der Einzelberatung geht natürlich vieles
auch jetzt schon über Videokonferenzen. Online-Formte können im Zweierkontakt
gut funktionieren. Das hat auch mit der Affinität der Menschen mit bestimmten
Medien zu tun. Bei einem Austausch in der Gruppe wird es auch technisch sehr anspruchsvoll.
Die Interaktion in Gruppenprozessen kann in Supervision und Coaching methodisch
eine wichtige Rolle spielen, ein Teil dieser Interaktion fällt online bzw. in der
Videokonferenz einfach weg. Manche Organisationen werden dann erfinderisch und suchen
nach Räumen, die hinreichend groß sind, in denen sich trotz der aktuellen Lage Settings
in der Gruppe, mit angemessenen Abständen untereinander, auch weiterhin an
einem Ort durchführen lassen. Für viele ist es noch wichtiger geworden, über die
Situation, die sich für sie gerade zuspitzt, gemeinsam in ihrem Team reden zu können.
Welche Rolle spielen Solidarität und Zusammenhalt? Alle fordern sie, die Realität sieht oft noch anders aus.
Die Folgen der aktuellen Entwicklungen können wir im
Moment noch nicht ermessen. Ich glaube, dass marktliberale Vorstellungen und
Haltungen in Zukunft verstärkt auf dem Prüfstand stehen. Was es für Nachteile
hat, allein den Markt regieren zu lassen, zeigt sich gerade im
Gesundheitswesen. Die Frage des Sozialen, was uns wirklich wichtig ist und was
wir über das Wirtschaften hinaus miteinander anfangen wollen, stellt sich ganz
neu – auch in Bereichen, in denen man sich diese Frage vorher noch nicht
gestellt hat. Denn die Folgen kommen ja erst noch.
Was kann die DGSv tun, um Mitglieder und Beratungsklient*innen in dieser Zeit zu unterstützen?
Wir versuchen zu informieren, bieten eine Plattform für Austausch und
Vernetzungsmöglichkeiten. Das machen wir intensiv und es gelingt uns ganz gut
im Moment – aber es ändert natürlich an der grundsätzlichen Situation nicht
viel. Auf unserer Webseite haben wir ein Forum geschaltet, wo unsere Mitglieder
sich austauschen und gegenseitig beraten. Gleichzeitig brauchen wir auch die Expertise
unserer Mitglieder, die aufgrund ihrer Wahrnehmungen und Erfahrungen nun als Expert*innen
für Beratung besonders gefragt sind. Beratungsinteressent*innen können sich bei
uns nach wie vor über den Berater-Scout informieren und ebenfalls unsere Webseite
nutzen – die meisten Angebote dort sind öffentlich.
Wird sich durch die jetzige Krise die Art und Weise verändern, wie Supervision und Coaching stattfinden?
Die Krise ist für uns auch eine Prüfsituation: Haben wir etwas wirklich
Relevantes anzubieten? Wenn Supervision und Coaching relevant sind, und davon
gehe ich aus, werden sie sich als Inseln des vertieften Nachdenkens und der
Reflexion im Meer der vielen Handlungsanforderungen durchsetzen.
Technisch-methodisch wird es einen Digitalisierungsschub geben, gleichzeitig
gibt es weiterhin auch Beratungssituationen face-to-face: Wenn sich das unter
den gegebenen Regeln und Hygienemaßnahmen herstellen lässt, hat die
Unmittelbarkeit und Präsenz des persönlichen Treffens deutliche Vorzüge. Hat
man diese Möglichkeit nicht, dann ist eine Videokonstellation immer noch besser
als nichts. Es wird neue Formen geben, die wir selbst entwickeln können und
müssen. Aktuell ist unser jährliches Verbandsforum, das Ende April stattfindet,
als digitaler Kongress in der Umsetzungsplanung. Die Krise regt auch
Kreativität an und bringt Neues hervor.
Das Interview führte Caroline Eckmann, Eckmann & Rowley, Bonn